Mittwoch, 22. Januar 2014

Käse-Schinken-Baguette

Neulich beim Augenarzt. Ich sitze als Notfall im Wartezimmer und bin auf locker mal ne Stunde Wartezeit eingestellt. Vorausschauend habe ich mir ein riesiges Käse-Schinken-Baguette gekauft, das ich nun vor den Augen der Mitwartenden auspacke. Im Viereck sitzen wir auf Designerstühlen und starren das Nichts in der Mitte des Raumes an. Ich kann natürlich nicht eindeutig sagen, wer hier überhaupt noch was sehen kann, aber ich gehe mal von mindestens 75 % durchschnittlicher Sehkraft der Anwesenden aus. Es ist kurz vor 12. Für die Rollator-Rentnerin mit Sicherheit Mittagsessenzeit. Selbst wenn sie nicht mehr viel sieht, schmecken tuts ihr offensichtlich noch gut. Zu Hause warten bestimmt noch die Reste vom Sonntagsbraten in ranziger beiger Soße.
Als ich meine Brötchentüte aus dem Rucksack fummel, zieht das Rascheln sämtliche Augenpaare auf mich. Ich entschließe mich trotz missbilligender Blicke einen ersten Bissen zu wagen. Schließlich verbringe ich hier meine Mittagspause und nach der Behandlung meines sicher schwerst verletzten Auges werde ich vermutlich keine feste Nahrung mehr zu mir nehmen können. Schmerzmittel, Narkosemittel, Beruhigungstabletten und wer weiss was noch werden mich tagelang außer Gefecht setzen. 
Ich beiße also in mein Henkersmalzeit-Baguette und konzentriere mich auf den Käse-Schinken-Remoulade-Gurken-Tomaten-Brei in meinem Mund. Die Blicke lösen sich nicht von mir. Im Gegenteil. Wie Kletten haften sie an meinem Mund und verfolgen jeden Krümel, der sein Ziel verfehlt einzeln. Einige dieser scharfkantigen Krümel schaffen es nicht über meinen Schal hinaus. Die meisten landen allerdings auf meiner Hose in der nähe des Stoffhügels um den Reißverschluß. In regelmäßigen Abständen führe ich eine Schüttel-Streichbewegung aus, um die Krümel auf den Boden zu befördern. Die Menschen hinter den Blicken sehen das bestimmt nicht gerne. Sicher fragt sich jemand, ob ich den Dreck auch wieder beseitige, oder ob das alles liegenbleibt, sobald ich ins Behandlungszimmer zitiert werde. Ich weiss es zu dem Zeitpunkt nicht. Möchte es von der Dauer der Wartezeit abhängig machen, wie viel Aufmerksamkeit ich diesen verirrten Krümeln noch schenken möchte. Sie haben auch nicht mehr verdient. Das Baguette schmeckt eh lasch und die widerspenstige Tomate macht mir mehr zu schaffen als der Krümelberg auf dem Boden. Tomatenscheiben auf Brötchen sind eine Erfindung von Menschen, die keine Brötchen mit Tomatenscheiben essen. Warum sonst, sollte man sich freiwillig ein Hindernis zwischen die Lippen schieben, das tropft, das Brötchen labbrig und fade macht, und lästige Flecken auf der Klamotte hinterläßt? Wäre ich jetzt in freier Natur, würde ich die Tomate zu Boden fallen lassen und den Verlust ignorieren. Nutzloses Tomatenpack. Da ich mich aber in einem zivilisierten Wartezimmer für Kassenpatienten befinde, scheint mir diese Lösung ungeeignet und ich schlucke das rote Stück angewidert runter.

Da werde ich auch schon in den Behandlungsraum zitiert. Schnell noch den Mund abputzen, Hände abwischen und Brötchentüte zusammenknüllen.
Für Aufräumarbeiten bleibt leider keine Zeit.


Freitag, 17. Januar 2014

Jahresendzeitfragebogen

Zugenommen oder abgenommen? Am Jahresende - dank heftigster Magen-Darm-Erkrankung - leider ein bisschen zu wenig. Bin aber dabei, das wieder aufzuholen.

Haare länger oder kürzer?
 Gleich - obwohl vorne leicht länger.

Mehr ausgegeben oder weniger? Bin mir nicht sicher. Es gab allerdings jede Menge neuer Kostenstellen.

Der hirnrissigste Plan? Ein Buch zu schreiben. Bin schon bei der ersten Seite hängen geblieben. Aber die Idee ist gut!

Die gefährlichste Unternehmung? Die tollkühne Rettung der Kopfbedeckung von Herrn O., die vom Wind auf eine zweispurige Strasse geweht worden war.

Die teuerste Anschaffung? Ein Mac Book Pro

Das leckerste Essen?  Irisches Rinderfilet am Tag 6 nach Magen-Darm. Selbst gebackene Brownies

Das beeindruckendste Buch? "Tschick" von Wolfgang Herndorf.
Am schlimmsten fand ich übrigens "1913" von Florian Illies. Ich konnte einfach die Handlung nicht finden und habe nach grade mal 9% geschmissen.

Der berührendste Film? Habe keinen Film gesehen. Echt wahr. Dafür habe ich aber mein Faible für ZDF-Serien in den Bergen entdeckt. Die Bergretter und der Bergdoktor sind meine neuen TV-Helden.

Das beste Lied? "The perfect Life" von Moby
Ich muss allerdings als Moby-Fan gestehen, dass ich mit seinem neuen Album noch nicht warm geworden bin.
"hallo <name des Kindes>, schön, dass du da bist"

Die meiste Zeit verbracht mit…?
 Frau O. und Herrn O.

Die schönste Zeit verbracht mit…?
 Dem kleinen Herrn O. und der tollen Frau O.

Vorherrschendes Gefühl 2013? Ich muss noch XYZ machen.

2013 zum ersten Mal getan? Elternzeit genommen. Bei Gericht gewesen (zur Adoption). Babyschwimmkurs.

2013 nach langer Zeit wieder getan?
 Schlittschuh gelaufen

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Auf das ganze Brimborium rund um die sogenannte "Stiefkindadoption". 
Meinen ersten Punkt in Flensburg (für überfahrene rote Ampeln mit dem Rad).
Nach 2 Monaten Elternzeit wieder arbeiten zu gehen.

Was gibt Hoffnung für 2014? Alles. Bin voller Zuversicht, dass es ein gutes Jahr wird.

Was beunruhigt mich?
 Immer mehr Anzeichen von Alter und Spiessigkeit. Das kann ich nicht einfach hinnehmen!

2013 war mit einem Wort…?
 Ganz viel Anfang.

Sonntag, 5. Januar 2014

Day 12 - 17 und überhaupt

01.01. 2014. - 05.01.2014

Der Weihnachtsurlaub in Irland ging schneller zu Ende als ich in der Lage war, alles aufzuschreiben. Irgendwie nahm unser Leben mit dem Beginn des neuen Jahres Geschwindigkeit auf. Es wurde so viel gegessen und getroffen, spaziert und gequatscht wie an all den Tagen zuvor nicht, so dass ich am Ende zugegeben ziemlich platt war.

Gegessen:
Frau O. und ich haben uns einen gemütlichen kulinarischen Abend bei meinem Lieblingschinesen gegönnt. Was für ein Gedicht dieses scharfe Rindfleisch in Knoblauch, Chili, schwarzem Pfeffer und Koriander. Während wir die Ruhe zu Zweit dank Opas Babysitter-Künsten genießen konnten, muss ich unbedingt die Mutter erwähnen, die uns mit 5 kleinen Kindern zwischen 3 und schätzungsweise 10 beim Fließband-Sushi-Fritzen gegenüber saß. Ich war schon schwer beeindruckt, was so ein halbes Fußballteam verdrücken kann. Noch beeindruckter war ich von Muttis Geduld und nimmer endenden Bestellungen aufgrund der Sonderwünsche ihrer individuellen Geschöpfe. Von der Rechnung wäre ich sicher auch beeindruckt gewesen. Unser Sohn schlief zum Glück und verpaßte die Chance, sich die neusten Tricks beim Nachtischklau abzugucken.
Zum Thema Essen hätte ich noch nachzutragen, daß ich zum ersten Mal einen sogenannten “Meringue” (dt = Baiser) gegessen habe, der mir geschmeckt hat. Ein Lob an die tolle irische Hausfrau und ihre Backkünste.

Spaziert:
Gleich zwei Mal besuchten wir airfield. Airfield heißt übersetzt in etwa “Farm, Cafe, Garden, Home”. Man kann da herrlich spazieren und kleine Küken gucken, Esel, Hühner und Schweine anschauen und lernen, wie die Besitzer der Farm vor etwa 100 Jahren gelebt haben. Es gibt auch ein nettes Cafe mit einer ausbaufähigen Speisen- und Kuchenkarte.

Getroffen:
Die Anzahl meiner Irlandbesuche liegt ja inzwischen im mittleren zweistelligen Bereich. Dennoch muß ich jedes Mal wieder über diese “How are you”-Kultur schmunzeln. Ich kann meinen Verstand nur schwer davon überzeugen, dass es sich hier um eine völlig am Inhalt der Worte vorbeigehende Begrüßungsfloskel handelt. Nur um ein Haar hätte ich einer Kellnerin geantwortet “Oh, I am very sick. I have a cold and did not sleep very well last night, because our son fell asleep on my stomach. Maybe you have a tissue for my runny nose?”. Hab ich mir dann aber verkniffen. Da treten zum Beispiel an der Kassentheke eines Bekleidungsgeschäfts 5 Leute gleichzeitig zum Bezahlen vor, und die fünf jeweils ihnen gegenüberstehenden Kassierer/innen fragen im Chor “How are you?”. Und - niemand antwortet. Ich war perplex. Für einen in Deutschland sozialisierten Menschen fühlt sich das an, als würde jemand sagen: “Kann mir mal jemand helfen?” und alle schauen weg. Ich habe meinen Verstand davon überzeugt, in Irland immer schön auf PAUSE zu schalten, sobald jemand diese drei Worte in meine Richtung sagt. Im einfachsten Falle einfach nachplappern, und wie eine Gummiwand die Frage an das Gegenüber zurückwerfen. So fällt man am wenigsten auf.
Den Boden getroffen, den Gegner getroffen, den Pfosten getroffen. Das haben an den sehr nasskalten Tagen um Weihnachten sehr sehr viele Rugbyspieler getan, deren Sport in mir immer eine Mischung aus Faszination und Ekel hervorruft. Diese Art von Freizeitbeschäftigung ist und bleibt mir ein Rätsel. Ich suche noch nach einer Lösung, wie ich meinen Verstand risiko- und nebenwirkungsfrei durch Fernsehabende mit Zweitligarugby navigieren kann, aber da hilft wahrscheinlich nur Abschalten oder viel Alkohol. Sich auf einem ackerähnlichen Feld im strömenden Regen an den Genitalien eines Mitspielers festzukrallen, damit man beim Schubsen und Schieben mit dem schwitzenden Gegner nicht umfällt, ist schon eine merkwürdige Form der Körperertüchtigung.
Ich laufe da lieber ein paar Runden durch den Park.

Gesucht:
Wie in früheren Posts erwähnt, waren wir ein paar Tage lang verschnupft. In Deutschland greift man da zu Tempos, Softies, Tatüs, oder sonstigen lustigen Discountermarken und schnieft die Dinger gedankenlos voll. Für Nachschub ist reichlich gesorgt. Nicht so in Irland. Da ich nach 2 Tagen Dauerschnupfnase immer noch keine Papiertaschentücher zum Mitnehmen gefunden hatte (die große Box wollte ich nicht mit in die Stadt nehmen), fing ich an, in Restaurants die Einwegservietten zu bunkern. Sie sind ja schliesslich gratis und noch nie hat mir jemand gesagt, dass nur bestimmte Mengen gestattet seien. Allerdings sind sie rau und wenig saugfähig.
Nach vier Tagen fand ich immerhin einen Drogeriemarkt, der einzelne (!) Packungen Taschentücher verkaufte. Ich schlug zu und gönnte mir gleich 3 von diesen raren Luxusartikeln. 

Gesucht habe ich auch einige Zeit nach dem Grund, warum man in einem Land, in dem es ständig regnet, Papiertüten an die Kundschaft ausgibt. Die werden im Dauerregen natürlich ganz schnell nass und labbelig und reissen irgendwann auf. 

Der Grund ist, dass sie nichts kosten - Plastiktüten allerdings schon. Ich hab noch nie jemanden mit Plastiktüten aus einem Shop kommen sehen. Sind wahrscheinlich noch weniger erschwinglich als Papiertaschentücher. Zum Einen. Zum Anderen: Es gibt wahrscheinlich so wenig Papiertaschentücher, weil es so viele Papiertaschen gibt.

Donnerstag, 2. Januar 2014

Neue 7-Meilenstiefel


Day 7-11

28. - 31.12.2013


Die vergangenen Tage standen ganz im Zeichen des gesund Werdens und all der schönen Dinge, die man tut, wenn man wieder bei Kräften ist.
Wir hatten viel Besuch. Es wurde viel gekocht, gebruncht, auswärts geschlemmt und mit Freunden gequatscht und gelacht. Diverse süße und auch höherprozentige Speisen gelangten in unsere Mägen und selbst die Nächte wurden wieder erholsam, da der junge Mann sich entschloss, uns für den ersten Teil der Nacht das Bett zu überlassen und wir somit nach etwas mehr als einer Woche gequetschten Schlummerns endlich wieder tief und erholt durchschlafen konnten. Ja, richtig gelesen: DURCHSCHLAFEN! Er nimmt nämlich morgens keine Flasche mehr nach dem ersten Schrei. Einfach weg, vergessen, Ende Gelände mit dieser Angewohnheit. Nun mag man denken, warum geben die Muttis dem armen Jungen denn keine Flasche, wenn er schreit? Das Kind hat doch sicher Hunger nach einer langen Nacht. Nun ja. Oft war die Nacht schon um 4 Uhr in der Früh “lang” und eine von uns beiden quälte sich voller Begeisterung aus den warmen Kissen und schlurfte über den erfrischend kalten Steinboden in die Küche um in Trance eine Flasche mit Milchpulver zu füllen und mit heißem Wasser zu übergießen. Beim Schütteln des Mixgetränkes kamen mir oft die besten Gedanken und hätte unser Sohn nicht just diese Woche seine Gewohnheiten geändert, ich weiß nicht, welch fabelhafte Reggierhythmen noch aus meiner Feder entsprungen wären.
Angesichts der Mengen an Kartoffeln, Gemüse, Würstchen, Kuchen, Toastbrot und Milch, die er in den vergangenen Tagen verdrückt hat, muß man sich wirklich keine Sorgen machen, er könnte auch nur im Ansatz so etwas wie Hunger verspüren. Vorräte hat er auch angelegt. Da sollte alles im grünen Bereich sein, was auf der Grünen Insel ja auch zu erwarten ist.
Die stolzen Muttis nutzten die Gelegenheit des nachweihnachtlichen Sales, dem Sohnemann ein paar neue Outfits zu verpassen. Wenn er wollte,könnte er sich jetzt drei mal am Tag umziehen und wir müßten trotzdem nicht einmal waschen. Was für ein genialer Ansatz zu mehr Sparsamkeit. Nebenbei fielen noch ein paar Gummistiefel und zwei Pyjamas für ihn ab, denn als heranwachsender Mann von Welt will man ja auch nachts und im Matsch gut aussehen. So lange er noch nicht nachts im Matsch gut aussehen will, bin ich da völlig entspannt.

Am Silvestertag fühlte ich mich zum ersten Mal wieder so fit, dass ich morgens die Laufschuhe anzog und eine gute halbe Stunde durch die Gegend joggte. Nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Außerdem wollte ich nicht mit all den Guten-Vorsatz-Fassern am Neujahrstag im Joggerstau stecken, und zog es lieber vor, einen Tag früher loszurennen. Das Wetter entwickelte sich auch zu meinen Gunsten. Der Stau fand nämlich im strömenden Regen statt. Das neue Jahr begrüßten wir ganz umspektakulär. Im Bett - zu Dritt - und dem 100-jährigen, der aus dem Fenster stieg.